Vom
Aufhören und Anfangen
Verabschieden
heisst loslassen und weitergehen. Genau, was ich gewollt hatte – und trotzdem waren
die letzten Wochen am alten Arbeitsplatz von Melancholie geprägt. Egal, wie
sehr ich mich auf das Danach freute, die kleinen und grossen Abschiede von lieben
Menschen, mit denen ich Büroalltag, Freuden, Sorgen, Kaffeetassen und in guten
Momenten Sektgläser geteilt, aber auch von Arbeiten, die ich ausgeführt habe, ja
selbst von meinem Arbeitsweg entlang der Aare oder von der Kaffeemaschine, mit
der ich für gewöhnlich auf Kriegsfuss stand, bereiteten mir auf einmal Bauchschmerzen.
Warum nur? Ich hatte doch selbst so entschieden.
Jeder
Abschied ist ein kleiner Tod, lese ich, und rede mit einer Freundin darüber.
Diese sagt: «Aufhören ist etwas Wunderbares.»
Ich
horche auf: «Wie bitte? Anfangen ja. Aber aufhören?»
Ein
Kapitel zu beenden, etwas vor langer Zeit Angefangenes mit klarem Kopf zu Ende
zu bringen, eine Tür hinter sich zu schliessen, ohne genau zu wissen, welche
Tür sich danach öffnen wird, empfinde sie als Moment des Glücks, führt sie aus.
Ihre
Worte stimmen mich nachdenklich, und erinnern mich an Hermann Hesses
Gedichtzeile «In jedem Anfang wohnt ein Zauber inne». Gilt das genauso für das
Ende? Und wenn ja, welcher Zauber ist gemeint? Der, der Dankbarkeit?
Im Leben
sollen wir «heiter Raum um Raum durchschreiten; zu Reise und Aufbruch bereit
sein», schreibt Hermann Hesse in demselben Gedicht «Stufen». Ich stelle fest,
dass ich die Zeile mit dem Zauber des Anfangs nur zur Hälfte kenne. Weiter
heisst es nämlich: «Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt
und der uns hilft, zu leben.»
Ein
schönes Bild, ein beruhigender Gedanke, der mich an eine Todesanzeige erinnert,
die ich neulich gelesen habe. Darin stand, der Mann sei im Alter von 96 Jahren
unerwartet gestorben. Ich bin überzeugt, dass jemand, der im Alter von 96
Jahren «unerwartet» stirbt, ein hoffnungsvolles Leben gelebt haben muss. Ein
Erfinderleben. Eins mit viel Zauber, Mut, Neugier, Enden und Neuanfängen. Vom
Tod schreibt auch Hesse in seinem Gedicht: «Es wird vielleicht auch noch die
Todesstunde // Uns neuen Räumen entgegen senden // Des Lebens Ruf an uns wird
niemals enden // Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!»