Diagonal, ein guter Zug
Ich denke gern und häufig über einzelne Wörter und ihre Verknüpfungen nach. Worte transportieren Farben, Geräusche, Gefühle und oft auch Erinnerungen. Bei «Himmel» denken wohl die meisten an blau, bei «Sonne» an gelb und warm und an die Geräuschkulisse eines Mittwochnachmittags in der Badi mit Kinderstimmen, Wasserklatschen und Bademeisteransagen. Lese ich das Wort «Nivea-Creme», rieche ich die Fasnacht und spreche ich «miteinander» laut aus, flackert es vor meinem inneren Auge grün auf.
Je nach Begriff gehen die Assoziationen weit auseinander, gerade auch bei abstrakten Worten wie «diagonal» eins ist. Laut Duden bedeutet diagonal «zwei nicht benachbarte Ecken eines Vielecks geradlinig miteinander verbindend». Und darüber hinaus? Bei diagonal denke ich erstens an querfeldein und Abenteuer. Diagonal erfordert für mich mehr Mut als geradeaus. Zweitens verknüpfe ich diagonal unweigerlich mit dem Schachspiel. Als Jugendliche habe ich oft Schach gespielt und dabei unzählige Male gegen meinen Grossvater und später gegen den Schachcomputer verloren. Der Läufer ist der Meister der Diagonale. Steht dem Läufer niemand im Weg, kann dieser diagonal so weit übers Feld ziehen wie er, beziehungsweise ich es will. Das ist eine gute Eigenschaft. Eine weniger gute ist, dass der Läufer seine Feldfarbe nicht ändern kann und sich immer entweder auf schwarzen oder weissen Feldern fortbewegen muss. Lange erschien mir das als grosser Nachteil – sowohl im Leben wie beim Schachspiel. Heute ist es mir oft ganz recht, wenn nicht alle Optionen offen stehen. Ich kann diagonal nach links, nach rechts, vor oder zurück, ein Feld, zwei Felder oder viele mehr, ohne jeglichen Gedanken daran zu verlieren, ob geradeaus die bessere Entscheidung gewesen wäre. Je nach Perspektive ist das ein Gewinn, ja ein Vorteil des Erwachsenseins – mit den Jahren weiss man, auf welchen Feldern man sich bewegen kann – oder eben gerade umgekehrt, ein Nachteil: Wer sich auf den immer gleichen Farben aufhält, schränkt sich selber ein und vergisst dabei vielleicht, dass das Pferdchen sogar springen kann.
Und doch bin ich lieber Läufer als Turm, bei dem die Farben zwar ändern, aber die Blickrichtung immer gleich bleibt. Lieber bin ich auch Läufer als König, der, obwohl er alles kann, nur in den kleinstmöglichen Schritten vorwärtskommt. Denn manchmal mutig und grossdenkend querfeldein nach vorn - das ist es, was «diagonal» für mich bedeutet.