Debbie, die Hausfliege
Oder warum es sich manchmal lohnt, aus der Not eine Tugend zu machen.
Bestimmt kennen Sie den oft zitierten Spruch des Theologen Reinhold Niebuhr «Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.» Obwohl die Worte durch die Häufigkeit, mit der sie zitiert werden, ein bisschen abgedroschen klingen, sind es kluge Worte. Doch dazu eine andere Geschichte. Im Herbst hatten wir in unserer Wohnung «eine» Fliege. Lästig, wie Fliegen halt sind, hielt sie sich immer exakt dort auf, wo wir auch gerade waren: Beim Zmorge, Zmittag und Znacht schwirrte sie um unser Essen herum und schlimmer noch, beim Einschlafen um unsere Ohren. Wir versuchten, sie zu vertreiben, zu erschlagen – und selbst wenn uns das gelang, war sie am nächsten Morgen wieder da. «Sie will bei uns sein», sagte plötzlich einer unserer Söhne – und so kam sie zu uns: Debbie, unsere Hausfliege. Morgens fragten wir Debbie, ob sie uns nicht zur Arbeit oder in die Schule begleiten wolle und stellten uns vor, wie sie dort unsere Mitarbeitenden Sturm machen und wir entschuldigend sagen würden: «Keine Angst, sie will nur spielen!» Doch Debbie zog es vor, zuhause auf uns zu warten. Sobald wir da waren, war sie es auch. Wie schön! Auf einmal freuten wir uns tatsächlich, sie zu sehen. «Schau, Debbie ist auch schon da!», wurde zu unserem Running Gag – und während sich unsere Freunde ob unseres komischen Verhaltens wunderten, hatte sich unsere Einstellung zur Fliege längst geändert. Es war nicht mehr irgendeine Fliege, nein, es war Debbie, unsere Hausfliege. Schnell schraubte unser Sohn zum Beispiel nach dem Gebrauch das Honigglas wieder zu, um zu verhindern, dass es Debbie zur tödlichen Falle werden würde, wie er sagte. «Gestern sah Debbie irgendwie anders aus», stellte unser zweiter Sohn mehrfach fest und suchend blickten wir uns nach Debbie um, wenn sie mal nicht zum Abendessen erschienen war. Nun aus unserer «Hausfliege-Episode» ziehe ich zwei Schlüsse. Erstens hilft es, die Dinge bei einem Namen zu nennen; dieser nimmt ihnen oft den Schreck. Und zweitens tun wir wahrscheinlich hin und wieder gut daran, Situationen, die wir nicht ändern können, aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und in einen neuen Kontext zu setzen. Falls es Sie interessiert: Debbie ist inzwischen verschwunden – und ob Sie es glauben oder nicht, manchmal fehlt sie uns. Wir denken sogar darüber nach, uns im Frühling eine neue
Hausfliege anzuschaffen.